Flammenwerfer gegen die Ungerechtigkeit – Petrol Girls live in Berlin
Die Petrol Girls aus London/Österreich sind einer der hellsten Sterne am DIY-Himmel und haben nicht nur wegen ihres eingängigen Post Hardcore, sondern auch wegen ihrer klaren Kante gegen Sexismus, Homophobie, Rassismus und Faschismus. Kaum eine andere Band bezieht so nachdrücklich Stellung zu den Missständen der Welt, allem voran der Gewalt gegen Frauen und LGBTs, der durch Machthunger- und missbrauch immer weiter wachsenden Klimakrise, dem ausbeuterischen Kapitalismus und dem scheinheiligen Patriarchat, das Minderheiten bewusst unterdrückt.
Die Stimme der Band, Ren Aldridge, ist eine zierliche junge Frau, die bereits seit über zehn Jahren als Musikerin tourt und mit ihrem Charisma und ihrer unverwechselbaren Stimme die positiv-aggressive und rebellische Musik des Quartetts unterstreicht. Support Slots für Größen wie Refused attestieren den Petrol Girls das Zeug für die großen Bühnen und es ist keine Raketenwissenschaft vorauszusagen, dass die Petrol Girls die Hardcore Band der Stunde sind. „Raging feminist post-hardcore“ haben sie sich auf die Fahnen geschrieben, doch auf dem Backdrop prangt in auffälliger Schrift der Slogan „No love for a nation“. Dies ist nicht nur eine Geisteshaltung, sondern auch ein Titel vom aktuellen Album „Cut n Stitches“.
The Frontrow is ours
Der Frauenanteil in der wochenlang vorab ausverkauften Kantine am Berghain ist erfreulich hoch und die Stimmung vor Konzertbeginn angeregt entspannt. Keine Ellenbogen, kein Gedränge oder der Kampf um den besten Platz in der Frontrow – wie wundervoll „sold out“ sein kann! Als dann das Licht erlischt und die Band die Bühne betritt, macht Ren erstmal klar, wen sie nicht im Pit sehen will. Große CIS Männer mögen sich bitte nach hinten begeben, denn die ersten Reihen sind für Frauen, non Binary people und LGBTs reserviert. Warum? Damit die beim Pogen Spaß haben können und nicht nach der zweiten Hook entnervt durch mangelnde Rücksicht und aus Angst vor ausgeschlagenen Zähnen ins Hintere der Venue abzischen. Außerdem, so erläutert die toughe Frontfrau weiter, spreche sie von Dingen wie Abtreibung, Selbstbestimmung der Frau, erhebe ihre Stimme für Transgender und gegen die Ungerechtigkeit der Welt und dabei möchte sie gerne die ganz nah bei sich haben, die das auch betrifft. Interessanterweise tummelt sich auch vor dieser unmissverständlichen Ansage im Pit nur die erhoffte Zielgruppe – Männer halten sich tatsächlich dezent im Hintergrund. Auch während des Konzerts ist der Umgang des Publikums miteinander sehr umsichtig, was durchaus positiv auffällt.
Livefeuerwerk mit Tiefgang
Nun will die Masse aber Musik hören – denn den Petrol Girls eilt nicht zu Unrecht der Ruf einer fantastischen Live Band voraus. Ren und ihre Band machen ab dem ersten Takt von „The Sound“ keine Gefangenen und zerlegen metaphorisch augenblicklich die Kantine. Die Energie der Gruppe reicht für drei Festivalheadliner und selbst Rampensäue wie Dave Grohl oder Jesus Bono würden zusammen mit den First Ladies Lady Gaga und Beyoncé anerkennend applaudieren und vielleicht sogar bei den Petrol Girls in die Lehre gehen. So geht Rock n Roll, so geht Live Präsenz. Was für ein Ritt also, auf den uns die Band mitnimmt. Die Songs drücken aber nicht nur, sondern haben auch Texte, die fernab von Mainstream oder Oberflächlichkeit sind. Ren nimmt sich die Zeit und erläutert die einzelnen Tracks, was sie zu den Lyrics bewogen hat, worauf sie damit aufmerksam machen will und warum. Hierbei fällt auf, dass sie rhetorisch unfassbar gewandt ist. Kein Ähm, kein Stottern, keine Denkpause. Jeder Satz sitzt und wird mit größter Sorgfalt und Bestimmtheit vorgetragen. Nicht nur, wenn Missstände angesprochen werden, sondern auch in den Passagen, in denen dem Publikum Mut gemacht wird, für sich und seine Ideale einzustehen. Die Setlist hat no fillers, just killers. „No Love for a Nation“ hat in Anbetracht des nun endgültigen Brexits noch mehr an Bedeutung gewonnen, „Monstrous“ beeindruckt mit der Zeile „This is not all of me, I choose the parts you see“. Ein zentrales Thema in den Songs, die allesamt Ren Aldridge schreibt, ist das Aufbegehren gegen die Unterdrückung der Frau und als Quintessenz die Stimme noch lauter zu erheben. So schreit sie aus tiefster Seele bei „Big Mouth“ „Some people think little girls should be seen and not heard //But I think UP YOURS 1, 2, 3, 4“ in die Kantine und rennt damit beim Publikum offene Türen ein. Im Verlauf des Konzertes wird deutlich, dass die Petrol Girls nicht nur abgedroschene Phrasen skandieren, sondern wirklich voll und ganz hinter jedem Satz, jedem Wort, ja, jedem Gedanken stehen, den sie nach außen tragen. Ren predigt die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, erinnert das Publikum daran, dass nicht nur das gesprochene Wort „Nein!“ bedeutet, sondern es mehr zwischen Himmel und Hölle gibt, das einen eindeutigen Konsens negiert. Darauffolgend spielen die Petrol Girls einen ihrer wichtigsten Songs: „Touch me again (and I will fucking kill you)“ ist an Intensität kaum zu überbieten. Das dazugehörige Musikvideo hat Gänsehautcharakter. Der Songs steht für so viel mehr als für die plakative Aussage des Titels und das erkennt der Hörer augenblicklich. Natürlich gibt Ren auch ein Update zum Stand der Solidarity not silence – Aktion. Sie und andere Frauen wurden von einem männlichen Musiker verklagt, weil sie seine sexuellen Übergriffe auf Frauen öffentlich gemacht haben. Da sich der Prozess zieht und die Kosten steigen, kann man das Kollektiv gerne unter https://www.crowdjustice.com/case/solidaritynotsilence/ unterstützen. Es kommt auf jeden Fall bei den Richtigen an.
Petrol Girls – Bewegend und mitreißend
Leider hat auch das schönste Konzert ein Ende und zur Zugabe lässt es sich die Frontfrau nicht nehmen, mit den Fans im Pit zu feiern und zu tanzen. Der Sound in der Kantine ist anstandslos, das Licht quasi nicht vorhanden. Schade für die Fans, die nicht ganz vorne stehen, denn von hinten war nicht mehr viel zu erkennen. Aber dennoch: Wen ein Gig der Petrol Girls kalt lässt, der hat einen Stein anstatt eines Herzens in der Brust.
Redaktion und Fotocredits: Désirée Pezzetta