Der Mensch bleibt Mensch – Interview mit Oehl
Am 24. Januar erscheint das langerwaretete Debütalbum der Band Oehl. Liedermacher Ariel Oehl und der isländische Multiinstrumentalist Hjörtur Hjörleifsson haben ein außergewöhnliches Indie-Meisterwerk geschaffen, das feinfühlig leichte Melodien mit schweren Texten kombiniert, ohne dabei das rettende Augenzwinkern zu vergessen. Ziemlich trockene Beats, feinste BassRiffs und dreamy Synth-Zauber: Das reicht hier schon ganz oft, das ist die Grundlage, auf der Ariel Oehl seine poetischen Miniaturen darbietet – immer ein wenig melancholisch, immer mit einem Zauber in der Stimme, der aber aufgefangen wird von Hjörleifsson, dem Nimmermüden und Dauerkreativen. Herbert Grönemeyer erkannte das Talent der zwei Brüder im Geiste noch vor allen anderen und hat sie direkt bei seinem Label Grönland Records auf- und zu seiner “Tumult“-Tour mitgenommen. Wir haben mit Oehl über das anstehende Release und ihre Kunst gesprochen.
MusiCandy: Hallo Oehl, euer Album kommt am 24. Januar raus, herzlichen Glückwunsch zum Release!
Ariel: Danke, es ist quasi ein Christkind- nur halt ein bisschen verspätet. Das ist aber eh so beim ersten Kind, das lässt sich immer Zeit!
MusiCandy: Wie habt ihr euch eigentlich gefunden – ein Isländer und ein Österreicher, die zusammen Indieherzmucke machen? Habt ihr euch auf der Straße aufgegabelt oder im Beisl?
Ariel: Schöner Gedanke, aber es war ganz anders. So richtig kennengelernt haben wir uns sogar erst, als wir die ersten Songs zusammen geschrieben haben. Hjörtur kommt eigentlich aus dem Norden Islands und ist mit 14 Jahren nach Österreich gezogen, wir haben beide in Salzburg gelebt. Ich wusste auch von einem isländischen Geschwisterpaar, das Musik macht, aber wir waren nicht miteinander vernetzt. Erst, als wir beide bereits in Wien gewohnt haben, sind wir uns richtig begegnet. Es war ein sehr heißer Sommer und ich habe Hjörtur unter den Vorwand in meinen Keller gelockt, dass es dort kühl ist und ein Eisschrank steht.
MusiCandy: Keller in Österreich haben immer einen faden Beigeschmack- Hjörtur, hattest du keine Bedenken, Ariel in das Souterrain zu folgen?
Hjörtur: Haha, nein, es hat sich nicht seltsam angefühlt, ich habe ihm gleich vertraut. Aber es ist schon eine Fügung des Schicksals, dass wir uns tatsächlich parallel zueinander entwickelt haben und dieselben Lebensentscheidungen getroffen haben, bevor sich unsere Wege kreuzten.
Ariel: Man sagt ja, zwei Parallelen treffen in der Unendlichkeit aufeinander, das finde ich auf uns bezogen einen schönen Gedanken.
MusiCandy: Danach ging alles Schlag auf Schlag – nach einem winzigen Probegig in einer kleinen Wiener Location, wart ihr sofort als Support für Herbert Grönemeyers „Tumult“ Tour dabei. Unter anderem habt ihr auch auf der ausverkauften Waldbühne gespielt – davon träumen andere Musiker jahrzehntelang. Wie fühlt sich das für euch an?
Ariel: Ich träume manchmal auch noch davon, haha. Aber im Ernst: So viele Konzerte in so kurzer Zeit zu spielen ähnelt sehr einer Traumreise, die man nie ganz begreift. Durch den Kontakt zu den großartigen Musikern von Herbert und ihm selbst, ist man so in ein funktionierendes System eingebettet, dass für Reflexion nicht viel Zeit bleibt. Es fühlte sich ein bisschen an wie in Abbas Magic Life Club – aber im positiven Sinne und all inclusive! Natürlich ist es auch interessant, wie in solchen Dimensionen Musik machen funktioniert. Wir fangen nun aber mit ganz kleinen Clubshows an und freuen uns, wenn da hundert Leute zuhören und wegen uns da sind.
Hjörtur: In erster Linie ist es nicht unser erklärtes Ziel, Stadien zu füllen.
MusiCandy: Wie kam Herbert Grönemeyer auf euch? Ihr seid bei ihm unter Vertrag und deswegen wart ihr auch mit ihm auf Tour – aber woher stammt der Erstkontakt?
Hjörtur: Nach akribischer Detektivarbeit haben wir das alles rekonstruieren können.
Ariel: Ja, eine sehr kausale Sache! Unser Kumpel Gerard hat wiederum seinem Kumpel von uns erzählt, der nunmehr ein Kumpel von Casper, dem deutschen Rapper, ist. Casper fand uns dann so gut, dass er auf Twitter eines unserer Lieder, „Keramik“, als Song des Jahres getweetet hat, was wiederum die Gruppe Fettes Brot gesehen hat und uns in ihren Radiopodcast inkludiert hat. Und da kam Herbert Grönemeyer ins Spiel. Es war also eine Verkettung glücklicher Umstände durch word by mouth. Bevor uns hundert Leute kannten, kannte uns Herbert, haha. Natürlich stärkt sowas das eigene künstlerische Selbstvertrauen und es ist toll, bereits in so einem frühen Stadium mit diesen musikalischen Größen zu tun haben zu dürfen.
MusiCandy: Ihr passt natürlich auch vom Klangbild gut zu Herbert. Glaubst du, dass ihr ihm auch sympathisch seid, weil du ebenfalls beim Singen etwas nuschelst?
Ariel: Mag man Österreicher nicht generell deswegen, weil man nicht alles versteht *lacht*?
Hjörtur: Das gibt zumindest mehr Spielraum für Interpretation!
Ariel: Sicherlich spielt der Sinn der Sprache mit, aber die erste Assoziation mit unserer Musik ist nicht Deutsch. Vielleicht auch, weil das Österreichische im Gegensatz zum sehr konsonantischen Deutschen viel vokaler ist. Daher können die Hörer sich zunächst auf die Musik konzentrieren, ohne von Anfang an dem harten Text ausgesetzt zu sein.
Hjörtur: Außerdem ist der Kontext unserer Klangkunst nicht der typische Rahmen für Österreichische Texte und Musik. Auch, wenn oder weil es mitnichten Mundart ist.
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
MusiCandy: Eure Texte behandeln eben doch sehr schwere Themen, dennoch ist eure Musik in Dur.
Ariel: Musik und Literatur verhält sich ja folgendermaßen, dass die Musik sehr leicht verständlich ist. Jedes Kind fängt bei guter Musik an zu tanzen, erklingt ein Moll-Akkord, so reagiert man emotional traurig. Musik passiert ohne viel Lerneffekt. Für Literatur und Texte braucht man Bildung, dafür muss man in die Schule gehen. Die Leichtigkeit, die unsere Musik verkörpert, ist für mich der einzige Weg, diese schweren Texte überhaupt darbieten zu können. Gewichtige Texte und schwermütige Musik – das könnte ich nicht. Ich brauche das Helle, um das Dunkle ertragen zu können.
MusiCandy: Stehen dann die Texte schon, wenn ihr neue Musik schreibt?
Ariel: Nein wir schreiben die Musik im Moment und dazu entsteht ein Kauderwelsch, der sich zwar Deutsch anhört, aber keine Sprache ist.
Hjöltur: Die Beatles haben das auch schon so gemacht. „Yesterday“s Arbeitstitel war ja auch „Scrambled Eggs“.
Ariel: Die Texte sind aber natürlich sehr wichtig. Laut dem Pareto-Prinzip schafft man in 20% der Zeit 80% der Arbeit. Die letzten 20% brauchen dann aber 80% der Zeit. Bei uns sind die 20% der Zeit die Musik und dann brauch ich noch viermal solange, bis ich den Text dazu habe.
MusiCandy: Und wenn dir dann doch kein Text einfällt, dann klaust du bei Rainer Maria Rilke, wie bei Neue Wildnis (“wer jetzt kein Haus hat, baut auch keins mehr”).
Ariel: Absolut. Bei Rilke ist Einiges zu finden. Popkultur ist immer intertextuell. Die Frage ist ja nur, wo man zitiert. Mich reizt die deutsche Lyrik sehr. Ich mache mir gerne den Spaß, die Schulliteratur lustvoll anzunehmen und frei von jedwedem Interpretationszwang mit Musik zu verbinden. Ich habe eine handvoll Gedichtzeilen, die ich in meinem Leben noch einer breiteren Massen in neuem Kontext präsentieren möchte.
MusiCandy: Eine Reizwortgedichtzeilen-Geschichte! In eurer Presseinfo steht, dass ihr das ganz Große im ganz Kleinen sucht. Das ganz Große, sag ich mal, ist etwas Universelles, das ganz Kleine dann der Song. Wieviel Wahrheit kann man denn in drei Minuten verpacken?
Ariel: Ich glaube, man kann Wahrheit nur in drei Minuten verpacken. Wer versucht, die Wahrheit in einen Roman zu verpacken, verzettelt sich leicht und es wäre ein sehr langes Werk. In einem Haiku kann in drei Zeilen sehr viel Wahrheit stecken. In einfachen Dingen sind oft große Erkenntnisse zu finden. Für mich sind Gedichte sehr wahr, Romane verstricken sich leicht.
Hjörtur: ich würde Wahrheit sogar mit Stimmigkeit ersetzen.
Ariel: In wenigen Zeilen lässt sich ein Gedanke auch leicht schließen. Mein erstes Gedicht mit 14 war übrigens ein Haiku, das mussten wir für den Literaturunterricht schreiben und das ging so:
15 Kerzen und
keine brennt für mich Kindheit
lass mich nicht im Stich
Da steckt viel vom Erwachsenwerden drin und ich habe das für mich als sehr wahr empfunden.
MusiCandy: Da steckt auf jeden Fall mehr als eine Wahrheit drin. Aber auch in Island gibt es ja tolle Literatur, angefangen bei den Sagas. Sowas spielt bei euch aber keine Rolle, oder?
Hjöltur: Dadurch, dass Ariel die Texte schreibt, eher nicht. Hast du dich mal mit den Sagas auseinandergesetzt?
MusiCandy: Ja, ich habe Nordische Philologie studiert und sie sogar auf Altnordisch gelesen.
Hjöltur: Oh, wow. Dann weißt du ja, dass es dort sehr hoch her geht. Davon ist bei uns nicht so viel zu finden. Mythologie hat man in dem Fährmann im Song „Über Nacht“. Nordische Mythologie ist eigentlich nicht dabei. Natürlich gibt es aber grandiose Literaten in Island – ein persönlicher Tipp von mir sind die Werke von Halldòr Laxness, im Übrigen auch unser einziger Nobelpreisträger, haha.
Ariel: Der hat immer nur im Stehen geschrieben, weil er so rastlos war. Glenn Gould, der berühmte kanadische Pianist, hat negiert, dass er schlafen muss. Er saß also bis nachts um Zwei am Klavier, ging dann einen Meter davon weg und sagte, er ruht sich nur kurz aus. Schlafen gab es bei ihm nicht.
Kunst ist frei
MusiCandy: Was ist denn kulturell gesehen der größte Unterscheid zwischen euch beiden, retrospektive Österreich und Island?
Ariel: Uns verbindet eigentlich mehr, als das, was uns unterscheidet. Wir kommen aus Trennungshaushalten, wir haben ähnliche Vorstellungen von Lebenskonzepten, Patchwork, haben die gleichen Erfahrungen gemacht, mit wie wenig man auskommt, wie man mit Geld umgeht, was Genuss ist und wie man Liebe zeigen kann. Als Patchworkkinder haben wir auch gelernt, uns chamäleonhaft an Situationen anzupassen, was jetzt nicht negativ konnotiert sein sollte. Wir können recht wandelbar sein und das hilft uns auf der Bühne natürlich auch.
MusiCandy: Das klingt ja alles sehr künstlerisch und so sind auch eure Videos. Wer hat die Ideen, wie setzt ihr diese um?
Ariel: Ganz unterschiedlich. „Tausend Formen“ war meine Idee, da habe ich mir einen Schauspieler gesucht und einen Kameramann und das wars. Bei „Wolken“ habe ich dem Regisseur völlige Freiheit gegeben. Wenn man Menschen vertraut, ist es manchmal gut, auch künstlerisch die Kontrolle abzugeben.
MusiCandy: In Über Nacht sehen wir eine tolle Villa und deren Bewohnerin, die eines Tages ein Objekt im Garten findet, eine Pyramide. Was hat es damit auf sich?
Ariel: Die Pyramide taucht eines Tages auf, wie ein Alien Object. Ab diesem Zeitpunkt passieren seltsame Dinge im Haus, das ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Es ist wie ein Gegenüber, das mit ihr lebt und agiert. Das Lied handelt ja von einer Person, die verstorben und nicht mehr da ist. Das Objekt repräsentiert den immer noch gegenwärtigen Geist dieser Person. Die Protagonistin lernt aber loszulassen, denn das Objekt wird immer kleiner, bis es verschwindet und dann kehr im Haus auch Ruhe ein. Der Prozess der Trauerverarbeitung und des Loslassens ist das zentrale Thema im Video.
Hjöltur: Sie sucht aber auch noch nach dem Objekt, auch nachdem es weg ist. Die Sehnsucht bleibt.
MusiCandy: Ich war auch ganz begeistert von der Villa, in der das Video gedreht wurde.
Ariel: das ist unserem Regisseur zu verdanken, der monatelang nach Häusern gesucht hat, die nicht 12.000€ pro Tag Miete kosten, haha. Das Haus steht am Attasee und der Eigentümer hat uns für ein Wochenende reingelassen. Die Villa an sich hat so eine tolle Atmosphäre und einen wahnsinnigen Lichteinfall, dass wir die Stimmung einfach nur noch einfangen mussten.
MusiCandy: Bei „Haus am See in Österreich“ musste ich gleich an Funny Games denken. Wenn ein Österreicher an einer Seevilla klingelt und etwas möchte, geht das zumeist schlecht aus!
Hjöltur: Wer weiß, vielleicht ist unser Regisseur Rupert Höller der nächste Michael Haneke!
Humor und Duftproben
MusiCandy: Ihr habt ja eine eigene Youtube-Rubrik „Über Nacht mit Oehl“. Dort habt ihr humoristische und nicht ganz ernstgemeinte Beiträge. Ihr zeigt uns zum Beispiel zusammen mit eurem Produzenten, wie man einen „Hit“ schreibt. Bei aller Ironie – welcher Song auf der Platte ist denn euer persönlicher Hit?
Hjöltur: Bei Songs verwenden wir oft zwei Begriffe, „Hit“ und „Lieblingslied“. In diesem Spektrum versuchen wir uns zu bewegen. Ich persönlich freue mich sehr darauf, „Trabant“ vorstellen zu dürfen.
Ariel: Mein Hit ist „Himmel“, da er so zufällig entstanden ist.
MusiCandy: Wo liegen denn eure musikalischen Wurzeln? Irgendwoher muss euer spezieller Sound ja kommen.
Ariel: Wir hören grade viel Air, Gorillaz…
Hjöltur: Und früher haben wir viel Folk, akustische und textbasierte Musik gehört. Dadurch haben wir das Songwriting gelernt.
MusiCandy: Was können eure Fans auf der Tour erwarten? Welchen Merch habt ihr dabei?
Ariel: Ein Spektakel! Musik zum Träumen und zum Tanzen, aber mit einer ganzen Portion Humor, Spontaneität und Liebe. Das Album wird es als Vinyl, CD und Stream geben. Unsere physischen Tonträger sind auch ganz edel gestaltet. Zusätzlicher Merch sind Taschen, Parfum und allerhand.
Das Interview wurde geführt von Désirée Pezzetta
Fotocredits: Alexander Gotter
Oehl live:
14. Februar 2020 – München
17. Februar 2020 – Darmstadt
18. Februar 2020 – Nürnberg
19. Februar 2020 – Bremen
20. Februar 2020 – Hamburg
21. Februar 2020 – Berlin