So wars: Adam in Paradise – Adam Green live in Berlin | Bi Nuu | 2019
Prolog im Himmel
Am sechsten Tage schuf Gott den Menschen. Beim Betrachten des Prototyps allerdings kamen ihm recht schnell Zweifel. „Das ist schon ganz okay“, sprach er, „aber irgendwie fehlt der Pfiff! Jetzt fahr ich mir erstmal ein Ticket ein und dann geht es ans Feintuning!“ Gesagt, getan und Gott erschuf Adam. Nicht irgendeinen Adam, sondern Adam Green, der das ebenfalls photosynthesefreundliche Paradies fortan mit seiner Frau und Nachwuchs besiedelte, die Apfelcidermanufaktur “Snakebite” eröffnete und alle Tiere umarmte, die ihm begegneten.
Diese Version der Schöpfungsgeschichte wird umso wahrscheinlicher, wenn man sich das Werk von Adam Green, einem der vielseitigsten Künstler unserer Zeit, etwas genauer betrachtet. Seit Anfang der Nuller Jahre ist er eine feste Größe in der Musik- und Kunstszene und erfindet sich in regelmäßigen Abständen immer wieder neu. Erst im September veröffentlichte er die Graphic Novel War and Paradise, eine dystopische Geschichte in der von Green erfundenen Regular World. Zeitgleich warf er auch sein neues, leichtfüßiges Musikalbum Engine of Paradise auf den Markt, das sowohl einzeln, als auch als Soundtrack zum Comic betrachtet werden kann. Wir haben mit Adam im Vorfeld ausführlich über seinen neuesten Output gesprochen. Hier geht es zum Interview.
Auch die Tour, die ihn am 29. Oktober auch nach Berlin führt, trägt den Titel seiner neuen Platte. Auf dem Backdrop sieht man Figuren aus der Graphic Novel. Das seit Monaten ausverkaufte Bi Nuu ist bereits beim ersten, unangekündigten Support zum Bersten gefüllt. Der junge Herr, der sich erst noch bekleidet auf der Bühne und später halbnackt auf dem Tresen tanzt, spielt bei Adam Green zwar nicht die erste Geige, aber die E-Gitarre! Nach dem skurrilen Auftritt des Überraschungsgastes geht es beim offiziellen Supportact, Jackie Cohen, eher gemächlich zu. Das Folkduo scheint mit seinen zwar durchaus gewitzten Texten aber zu kindlichen Gesang und simpelsten Melodiefolgen doch viel zu brav für diese Art von Konzert.
The Prince’s Bed im Bi Nuu
Nach dem Anstandsapplaus und einer kurzen Umbaupause ertönt um 21:30Uhr aus den Lautsprechern das Adam Greens Herzenssong Kokomo von den Beach Boys. Oh, the memories! Unvergessen, wie er 2013 mit Macaulay Culkin eine recht atonale Version schmetterte oder 2017 im Wiener Gasometer seinen Smash-Hit Jessica damit aufpimpte! Heute nun als Einspieler- auch okay! Der erste reguläre Song des 22 Songs umfassenden Sets ist dann Cigarette burns forever und Adam hat das Bi Nuu bereits ab der ersten Minute mit seinem Charme erobert. Während er breit grinsend über die Bühne läuft und sich immer wieder zum Publikum wendet, um High Fives zu verteilen, zeigt seine Band, was in ihr steckt. Der Mann am Keyboard, dessen Haarpracht auf dem Kopf und auf der Brust für neidvolle Blicke bei Männern und Frauen und allem dazwischen sorgen dürfte, fegt über die Tasten, der Drummer gibt tight den Takt an und der Mann an der Gitarre hält sich nun brav im Hintergrund, denn jetzt ist Adam der Star. Aber was ist schon ein Star? Green gibt sich publikumsnah, er ist einer von uns, nicht nur, wenn er den Titelsong des neuen Albums Engine of Paradise anstimmt, sondern auch, wenn er engelsgleich Cheating on a stranger singt. Die Nonchalance des New Yorkers, der tanzt, als würde niemand zusehen, seine Seele in seine Songs legt und dessen Worte so weise gewählt sind, dass man schon fast eine göttliche Aura um ihn herum vermuten könnte, ist so präsent, dass sich wohl keiner im Bi Nuu dem ganz unprätentiösen Zauber entziehen kann. Gut kommt auch der bunte Mix aus alten und neueren Songs an. Neben Klassikern wie The Prince’s Bed aus 2003, Emily aus 2005, Buddy Bradley (2010) – übrigens das Lieblingslied einer seiner Töchter – Me from far away (2016) bis hin zu Freeze my love aus dem aktuellen Jahr, ist alles dabei. Dabei lohnt es sich, bei den Lyrics genauer hinzuhören- die sind nämlich nicht so blümchenrein wie die gefällige Musik vermuten lassen könnte.
Party until your Casio falls off!
Schlechte Laune, wie sie in Buddy Bradley besungen wird, hat Adam Green heute nicht. Im Gegenteil, er schäkert mit den Fans, klatscht weiterhin das Publikum ab, bis sogar das Band seiner Casio aufgeht. Aber einen Moneyboy-Guccibandana Incident gibt es nicht bei Adam Green – er bekommt das Zeitmessgerät umgehend und feierlich zurück auf die Bühne gereicht. Soll noch mal einer sagen, Berlin „Never lift[s] a finger“! In dieser bunten Hippiewelt, in die sich das Bi Nuu für gute 70 Minuten verwandelt, ist kein Platz für Hass. Beim letzten Titel des regulären Sets, Jessica, gibt es diesmal ein Interlude von Eternal Flame (The Bangles), frenetisch bejubelt von den bereits vollkommen hypnotisierten Besuchern im Zuschauerraum. Als Zugabe schallen We’re not supposed to be lovers und Dance with me durch den Raum. Getragen von seinen Gefühlen und dem Publikum nimmt Adam Green noch ein Bad in der Menge und (crowd-)surft wie einst die Beach Boys an seinem privaten Kokomo-Beach, der heute das Bi Nuu ist. Noch eine letzte Tanzeinlage, ein letzter Gruß zum überglücklichen Publikum und schon ist er in die Nacht entschwunden. Aber nichtmal zehn Minuten nach Konzertende trifft man Adam am Merchstand, wo er bereitwillig für Selfies posiert, Platten, Shirts und seine Graphic Novel signiert oder einfach Menschen umarmt. Wären alle Leute ein wenig mehr wie Adam Green, die Welt wäre ein besserer Ort. Bis dahin gibt es seine Platten, seine Kunst, seine Weisheiten und seine Herzlichkeit.
Epilog
Von oben schaut der große Schöpfer nach unten auf die Welt, in den kleinen Club am Schlesi und nickt zufrieden, während er sich eine Tüte baut. „Der Adam ist mir gelungen, kein Zweifel. Ein Prachtexemplar. Eigentlich viel zu gut für diese Welt, aber ich lass das jetzt so. Morgen ist frei!“
Redaktion und Fotos: Désirée Pezzetta