Alles Gute zum Nicht-Geburtstag! Kapelle Petra, 03. Mai 22, Club Stereo Nürnberg
Fast wie Geburtstag fühlt es sich an, wenn die Kapelle Petra in der Stadt ist. Seit nunmehr über 25 Jahren sorgt die Hammer (Obacht) Gruppe für Jubel, Trubel, Heiterkeit und auch ein bisschen Grübelei. Das musikalische Terzett, das eigentlich ein Quartett ist (und uneigentlich auch, weil Bühnenskulptur Gazelle zu lebendig ist, um nicht zu zählen) gastiert heute in Nürnbergs schönster Indiedisko, dem Club Stereo und hat neben einer Menge Hits auch noch eine ordentliche Ladung Humor und finale Weisheiten dabei.
Als die Sonne langsam unter- und der Mond aufgeht, füllt sich der Club Stereo zur Huldigung des heutigen Livespektakels: Kapelle Petra und die Band Lampe in der Frankemetropole und was soll denn da noch schiefgehen? Spoiler: Nichts.
Die edlen Vertreter:innen von Viva con Agua sind auch da und ein Großteil des Publikums packt die Gelegenheit beim Schopfe und spendet sein Pfand für diese tolle Organisation.
Support „Lampe“ beweist „Viel Potential“
Die Band Lampe besteht aus Tilman Claas und Julian Heyden, der aber den Bus verpasst hat und deswegen heute im Stereo durch Abwesenheit glänzt. Dann macht Tilman es halt alleine und er macht es sehr, sehr gut. Frisch aus Berlin eingetroffen und angenehm überrascht von den kurzen Wegen im vergleichsweise provinziellen Nürnberg, nimmt er in alter Liedermacher-Manier das Publikum nur mit seiner Stimme und Gitarre für sich ein.
Lampes Texte sind gewitzt, überraschend, pointiert und vor allem: wahr. Wer wissen will, was Reihenhäuser, Urin und Spargelfeste gemeinsam haben und warum passiv-aggressive Weltkriege immer Montags starten, kommt an Lampe nicht vorbei. Sogar einen Punkrocksong hat er im Gepäck, den er direkt mit einem schnauzigen Berliner Dialekt versieht. Passt ja ooch.
Sich selbst attestiert Sänger Tilman Viel Potential und er hat recht. Nicht umsonst ist auch Popkulturgott Linus Volkmann Fan der Kombo. Und spätestens ab heute ist es auch das Publikum im Club Stereo. Wer sich gerne einhören möchte, dem sei die aktuelle Platte mit dem bereits erwähnten Namen „Viel Potential“ wärmstes ans Herz gelegt. Gibt es auch als physischen Tonträger, also ran da!
Geht mehr auf Konzerte!
Kurz vor 21 Uhr erscheint dann die Kapelle Petra mit Gazelle. Und was für Erscheinungen sie alle sind! Bravourös meistern sie die -zugegebenermaßen kurze- Distanz aus dem Backstage auf die Bühne und während der Opener Geht mehr auf Konzerte das Publikum auf den Abend einstimmen soll, so ist die Message dahinter heute doch umso wichtiger denn je: Geht! Mehr! Auf! Konzerte! Endlich, nach zwei Jahren Pandemie, ist das nämlich wieder möglich und nötig, damit wir auch in Zukunft noch solche tollen Abende wie diesen zusammen erleben dürfen. Aber der Reihe nach:
Kapelle Petra, das sind Opa, Ficken Schmidt, Siepe und die Gazelle. Ihnen eilt ein Ruf als hervorragende Liveband voraus und so verwundert es kaum, dass es für die Meisten im Club heute nicht das erste Konzert des Quartetts ist. Nach kürzester Zeit, es braucht nicht mal drei Songs, bewegt sich das Stereo bis in die letzte Reihe. Ob es daran liegt, dass nach eigener Aussage die meisten Zuschauer:innen morgen frei haben? Wer nicht so proaktiv geplant hat, dem schenkt der Capo Gazelle gerne einen Urlaubstag für den Kater danach, einfach beim Chef einreichen, geht in jedem Fall klar!
Gazelle überrascht an diesem Abend nicht nur durch seine Tanzfreude, sondern besticht auch mit virtuosem Trompetenspiel. Passt auf, liebe Kapelle, dass Element of Crime ihn euch nicht wegschnappen! Durch die recht niedrige Bühne im Club verwischt die Grenze zwischen Band und Publikum immer mehr und wird fast gänzlich aufgelöst, als bei Geburtstag die Polonaise Blankenese startet und mindestens bis nach Erlenstegen , wo die erfolgreichen Familienväter wohnen, zieht. Was für ein Ritt! Da hat man ja auch schon die halbe Miete für eine Bundesjugendspielteilnahmebescheinigung.
Weltkulturerbe Stadt (Kapelle) Petra!
Vielleicht werden Kapelle Petra auch einmal ein Weltkulturerbe, schließlich haben sie schon so einiges für die KulturLANDSCHAFT getan. Songs wie Einsame Insel, Reißt die Fenster auf oder Lieblingsfarbe Grau sollten die Chancen zumindest deutlich erhöhen. Hamm-wa wieder was gelernt, vielen Dank liebe Petras! Findet auch das Publikum, das mittlerweile vollkommen eskaliert die Arme und Beine in die Luft wirft und dafür sorgt, dass die Innentemperatur im Stereo auf muggelige 80Grad Celsius steigt. Die Gazelle müsste sich pudelwohl fühlen, so als Savannentier.
Die Band wird nicht müde zu erwähnen, wie geflasht sie ist, dass an einem Dienstagabend in Nürnberg so viel los ist. Darauf wird angestoßen und die Spielzeit verlängert, denn ohne Encore geht hier keiner von der Bühne. Glücklicherweise ersparen die Musiker sich und dem Publikum das alte „Zugabe“-Spiel und macht nach dem regulären Set einfach direkt weiter, bis sich alle endgültig ausgepowert haben.
Baby, Melancholie
Wenn man der Kapelle Petra richtig zuhört, stellt man fest, dass hinter den oft bittersüßen Texten so viel mehr steckt, als nur eine Klamaukband mit Indieanleihen. Die Gruppe schafft es immer wieder, auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Genie zu balancieren und ihre Hörer:innen mit der Wahrheit, wenn auch gut verpackt, zu konfrontieren. Sie ist ein bisschen wie der intellektuelle Schwager, der seinen Zweifel an der world as we know it in unterhaltsame Geschichten einbettet, nach der ersten Flasche Chianti classico dann aber doch die Maske fallen lässt und melancholisch wird. Bevor es aber zu traurig wird, erzählt die Kapelle Petra schnell noch Eine schöne Geschichte von Hundekot auf gefrorenen Regentropfen und alles ist wieder im Gleichgewicht. Ohne Humor wird man ja auch verrückt, ehrlich mal.
Am Ende des Konzerts stehen sich Band und Publikum gleichermaßen verschwitzt gegenüber und unser Club ist erfüllt von Liebe. Stereoliebe halt. Vielleicht geht morgen die Welt unter, heute haben aber alle gemeinsam noch das Beste rausgeholt. Nach einer emotionalen Verabschiedung pogen die einen bis zum Sonnenaufgang weiter nach München und die anderen nach Hause – Morgen ist frei!
Redaktion und Fotocredits: Désirée Pezzetta