Im Gespräch: Vizediktator – Ich texte mein Leben
Interview mit Benni von Vizediktator
Vizediktator sind ein Berliner Phänomen. Abseits vom Mainstream haben sie mit diversen EPs, dem Album Kinder der Revolution und vielen Live-Auftritten geschafft, eine treue Schar aus Musikliebenden von ihrem eingängigen Straßenpop zu begeistern. So sehr, dass das erste Konzert nach acht Monaten Bühnenabstinenz und einigen Veränderungen in der Band innerhalb eines Tages ausverkauft war. Also gibt es kurzerhand einen zweiten Konzerttermin, auch dieser ist ausverkauft.
Es ist der 28. Februar, der Tag des zweiten Konzerts. Das vorherige am vergangenen Freitag hat bei vielen Anwesenden für tagelange Stimmausfälle gesorgt.
Als wir den Schokoladen betreten, ist der Soundcheck bereits in vollem Gange, man könnte eigentlich auch gleich schon wieder mitsingen. Aber was sehe ich da? Benni trägt eine Vizediktator-Jogginghose. Einzelstück oder neuer Merch? Hm, gleich mal für später merken. Letzte Woche gab es die noch nicht.
Nach Beendigung des Soundchecks gehen wir gemeinsam wir in den Backstagebereich im Keller. Um die pressierendsten Fragen loswerden zu können, legen wir gleich mal los, während Benni noch schnell Sekt anbietet.
MusiCandy: Es gab ja 2019 einige „kleine“ Veränderungen bei Vizediktator. Jetzt bist du zum ersten Mal mit der neuen Band unterwegs. Wie ist das denn genau? Bist du jetzt Solokünstler mit Band oder seid ihr eine Band? Erzähl mal.
Benni: Eigentlich war es nie anders. Nachdem Hannes, der die Songs ja größtenteils mit mir zusammen geschrieben hat, ausgestiegen ist, hat sich die Band um die bestehenden Songs formiert. Erst waren wir lange ein Trio mit Marco, und dann kam irgendwann Max dazu, weil Hannes ausgestiegen ist, und dann kam Sidney, weil wir Kinder der Revolution live mit zwei Gitarren spielen wollten. Es war dann quasi so, dass wir die Songs gespielt haben, die schon da waren. Dann haben wir die EP Schere aufgenommen, da haben die anderen dann auch ein bisschen mitgeschrieben. Letztendlich hat aber auch Hannes wieder mit im Studio gearbeitet. Ich sehe das Ganze ein bisschen wie ein Kollektiv. Vizediktator hat einen kollektiven Charakter, die Band war quasi um die bestehenden Songs von mir und Hannes gestrickt. Jetzt in der neuen Konstellation bin ich die Hauptperson, in Absprache mit der neuen Band. Es ist im Prinzip ein Soloprojekt, das aber kollektiv gehalten wird. Daraus kann sich entwickeln, was eben kommt, das wissen wir aber auch alle noch nicht genau.
Die anderen Bandmitglieder schwirren immer wieder in den Raum und wieder heraus, quatschen, lachen, sind ausgelassen. Das neue Bandmitglied Chris setzt sich zu uns.
MusiCandy: Du hast ja gerade Songwriting angesprochen und wie das bisher gelaufen ist. Letzte Woche beim ersten Live-Auftritt in der neuen Konstellation habt ihr zwei neue Songs gespielt. Hast du die alleine geschrieben?
Benni: Einen der beiden neuen Songs habe ich geschrieben, letztlich in Kooperation mit Franz und Chris, bei dem anderen Song hat Max das Instrumental geschrieben, der kommt noch aus dem letzten Jahr.
Und jetzt, BÄM, frei
MusiCandy: Früher hast du auf der Bühne selbst ein Instrument gespielt, jetzt hast du eine Person mehr mit auf der Bühne und singst „nur“ noch. Wie kam es dazu?
Benni: Das war tatsächlich eine Entscheidung, die ich schon vorher getroffen hatte. Die Idee ist auch durch den alten Bandkontext durchgelaufen und wurde dort eher kontrovers diskutiert. Denn das heißt natürlich auch immer, dass eine Person mehr dabei ist, mit der man sich abstimmen muss, es bedeutet mehr Koordination. Eine Band zu haben bedeutet ja eh schon viel Stress, alleine schon mit vier Leuten. Wir machen uns mit der Band ja auch nicht reich, und dann wird die Gage nochmal durch eine Person mehr geteilt und so weiter. Aber für mich das eine echte Befreiung. Ich spiele total gerne Bass und ich bin auch super gerne Bassist, aber ich merke jetzt gerade, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben die Freiheit habe, die ich eigentlich brauche, um die Texte, die ich geschrieben und im Studio gesungen habe, so auf die Bühne zu bringen, wie ich es gerne möchte.
MusiCandy: Du hast Dich ja sonst auch viel auf der Bühne bewegt, letzten Freitag beim ersten Konzert ohne Bass aber auf jeden Fall noch viel mehr als sonst. Hat das auch was damit zu tun?
Benni: Klar, du hast ja sonst automatisch einen festen Standpunkt auf der Bühne, weil du am Mikrofon stehen musst, das du ja mit Instrument nicht halten kannst. Und dann bist du daran gefesselt. Und jetzt BÄM, frei. Endlich.
MusiCandy: Und wenn die Bühne dann noch ein bisschen größer ist als hier?
Benni: Dann werd’ ich wahrscheinlich noch mehr Sport machen. *lacht.
Wie um diese Aussage unter Beweis zu stellen, ist Benni beim Konzert kaum zu halten, weder auf der Bühne noch davor. Bei zwei längeren Ausflügen ins Publikum umarmt er Fans und hüpft mit ihnen um die Wette. Auch kommt der eine oder die andere in den vorderen Reihen in den Genuss, einzelne Textzeilen direkt ins Mikrofon singen zu dürfen. Klares Votum für die Freiheit.
MusiCandy: Du hast ja Schere bereits angesprochen. Die Veröffentlichung der EP ist ja jetzt ziemlich genau ein Jahr her. Ist in der neuen Besetzung schon ein neues Album oder eine EP geplant?
Benni: Wir planen jetzt gerade ein bisschen anders als vorher. Wir haben vorher relativ klassisch als Rock-Band gearbeitet, es ging um eine Veröffentlichung, die mehrere Songs zusammenfasst. Was wir jetzt machen wollen, weicht ein bisschen davon ab. Wir wollen natürlich am Ende des Tages wieder ein Album haben, aber wir müssen jetzt erstmal sukzessive aufbauen. Wir sind eine ganz neue Truppe, die ganz neu zusammenkommt und die wie gesagt kollektiv betrachtet wird. Da geht es dann auch um die Fragen, wer was macht oder wer sich mit wieviel Engagement einbringt. Und jetzt gucken wir mal und wachsen ein bisschen und wollen in einem neuen Turnus Singles veröffentlichen. Wir schreiben gerade und sind im Prozess. Das ist total spannend und was ganz Neues, auch für mich, da ich bisher immer anders gearbeitet habe. Aber ja, wir wollen veröffentlichen, das ist klar.
MusiCandy: Hast du mit einem der neuen Bandmitglieder schon mal vorher zusammen Musik gemacht? Oder sie untereinander? Wie habt ihr Euch gefunden?
Benni: Das ist eine völlig verrückte Truppe. Keine Person kannte die andere vorher. Karen, die mit uns mitfährt und Technik macht, hat das auch in der alten Besetzung ab und zu mal gemacht. Chris ist jetzt dabei, der hatte mit seinem Projekt Schafe & Wölfe mal das gleiche Booking wie ich, man kennt sich und ist sich mal über den Weg gelaufen. Dan kommt aus einer ganz anderen Sphäre, dem Punk-Rock-Bereich, wo ich mich ja auch viel bewegt habe und bewege. Da ist viel zusammengewürfelt. Julia ist jetzt an den Drums dabei, die kommt eigentlich gar nicht aus Berlin, das ist total verrückt. Das sind dann jetzt fünf bzw. mit Karen sechs ganz verschiedene Charaktere, die jetzt an einem Strang ziehen.
MusiCandy: Aber Kreuzberger Straßenpop bleibt Vizediktator trotzdem, hoffe ich?
Benni: Naja, das bin ja ich. Vizediktator ist ja mein Baby, ich bin hier geboren und aufgewachsen, das bleibt.
MusiCandy: Wie war es denn, letzten Freitag nach acht Monaten Bühnenabstinenz das erste Mal wieder live zu spielen? Auch mit den neuen Leuten?
Benni: Crazy. Ich war schon lange nicht mehr so aufgeregt vor ’nem Konzert. Das war wirklich völlig irre. Du entwickelst ja sonst eine gewisse Routine. Damit will ich nicht sagen, dass ich sonst kein Lampenfieber hätte, aber man kennt sich, man ist eingespielt, es sind die gleichen Abläufe und die sind mal schneller und mal langsamer. Aber das war wirklich was völlig Neues. Witzigerweise, und da sind wir uns auch alle einig, hatten wir alle das Gefühl, dass wir uns fallen lassen konnten. Es war irgendwie total harmonisch auf der Bühne. Für mich war es ein total schönes Gefühl, eine Band im Rücken zu haben, bei der ich wusste, dass ich mich um nichts mehr kümmern muss und einfach mein Ding durchziehen kann. Ich glaube so ging es allen anderen auch.
MusiCandy: Aus der Publikumsperspektive einer Person, die Euch schon oft live gesehen hat, kann ich sagen, dass man Dir die Aufregung schon ein bisschen angemerkt hat.
Benni: Es war einfach ein super emotionales Konzert. Auch gerade mit den neuen Songs, vor allem dem einen Song, der für mich sehr persönlich ist, war es sehr emotional und voll aufgeladen, aber total schön. Ganz ehrlich, ich hab’ mir noch nie Konzertmitschnitte angehört oder angesehen, und dieses Mal dachte ich das erste Mal, okay, ich verspüre keine Scham, wenn ich mir dieses Video angucke. Ich fand es tatsächlich interessant und sehr schön. *lacht
MusiCandy: Hast du damit gerechnet, dass das erste Konzert sofort nach Verkaufsstart ausverkauft ist und das Zusatzkonzert dann auch noch?
Benni: Nee, gar nicht. Ich war komplett überrascht, aber das hat auch der Bandkonstellation vorher zu tun und dass sich die Szene wirklich auch stark verändert hat. Sie ist auch ein stückweit härter geworden, was das ganze Business anbelangt. Daher hätte ich nicht erwartet, dass das wieder so gut angenommen wird. Gerade, weil wir seit einem Jahr nichts mehr veröffentlicht haben, dachte ich: „Oh oh oh, was wird das denn?“ Aber es hat ja gut geklappt, ich bin mega happy.
MusiCandy: Wie war Dein Eindruck vom Publikum? Es waren ja alle noch sehr textsicher.
Benni: Ja, mega! Was war denn da los? Ich habe ja immer diese In-Ear-Stöpsel drin, und hab manchmal einen draußen, aber richtig habe ich erst auf dem Video gesehen bzw. gehört, was da eigentlich abging. Voll krass. Super. Gänsehaut, gerade im Nachhinein. Ich hatte schon beim Konzert ein gutes Gefühl, aber ja, crazy.
On the road again
MusiCandy: Morgen geht es für Euch ja schon los mit dem Support für Radio Havanna. Woher kennst du die Band?
Benni: Das ist so’n bisschen die Kreuzberg-Connection. Die Jungs kommen ja nicht aus Kreuzberg, die kommen ja vom Dorf, aber man will ja nicht so sein. *lacht
Ach nee, Scherz, wir kennen uns aus dem Franken-Kontext und so. Und die haben uns, als Kinder der Revolution rauskam, gefragt, ob wir sie bei ihrem 500. Konzert im Lido supporten. Und das fanden wir cool, und da haben wir uns ein bisschen näher kennengelernt. Und es ist super, dass wir da jetzt mitfahren können. Gerade in der Situation jetzt, wo alles neu ist, ist es total schön, mit ’ner Band zu fahren, wo man die Leute kennt und sich nicht so lost fühlt. Wir haben jetzt ohne neue Veröffentlichung die Möglichkeit, einfach live zu spielen. Wir sind da hinterher, wir wollen live spielen und haben Blut geleckt, also ich zumindest. *alle lachen
MusiCandy: Das ist ja mehr oder weniger eine Wochenendtour, meist Donnerstag bis Samstag. In einigen Städten habt ihr ja auch eigene Shows in den Zeitraum gelegt. Hast du noch ’nen „Brotjob“, um Geld zu verdienen?
Benni: Ja. Ja, hab’ ich. Ich ackere auch richtig unter der Woche. Man muss da ja auch ganz klar sein. Diese ganze Nummer, die wir hier machen, in dem Bereich, in dem wir uns bewegen, also sagen wir mal im mittleren Segment von Musik machen in Deutschland, könnten wir nicht machen, wenn wir nicht unter der Woche arbeiten gehen würden. Ich arbeite körperlich, ich bin Hausmeister in einem Technoclub, das ist mein Brotjob.
MusiCandy: Es ist bestimmt auch alles schwer zu vereinbaren, Arbeit, Proben, Konzerte, Tour, vor allem wenn ihr jetzt zu fünft noch eine Person mehr seid.
Benni: Klar, wir gehen unter der Woche arbeiten und am Wochenende touren und gucken, dass wir durch die Gagen, die wir auf Tour einnehmen – und eine Supporttour wird auch noch mal anders vergütet, als wenn wir als Headliner spielen – am Ende auf null laufen. Das ist einfach unser tägliches Leben. Wir leben quasi für die Kunst und wir arbeiten für die Kunst. Das schneidet auch in vielen Bereichen des privaten Lebens sehr gravierend ein, um ehrlich zu sein. Wir machen das, weil wir da richtig Bock drauf haben. Weil wir brennen. Und das schon seit Jahren.
MusiCandy: Und irgendwann seid ihr dann große Rockstars.
Benni: Ja, genau, das hab’ ich auch schon mal gehört. *lacht
MusiCandy: Spielst du lieber Headliner-Shows oder als Support? Oder ist Dir das egal, kommt es auf die Stadt an oder auf irgendetwas Anderes?
Benni: Also ganz ehrlich, das sind so unterschiedliche Dinge und die sehr unterschiedlich äußern können. Du kannst Support vor einem Publikum spielen, was Dich gar nicht hören will und dann hast du davon nichts, du kannst Support vor ’nem Publikum spielen, was dankbar dafür ist und auch voll Bock hat, dann macht es Bock. 30 Minuten Show ist immer so’n Ding, dann bist du quasi erst warm, wenn du wieder von der Bühne gehst. Aber wenn du ’ne gute Zeit hast, Dich da mit Freunden umgibst, dann ist das cool.
Aber auch ’ne Headliner-Show kann in unserem Bereich nach hinten losgehen. Wenn da 40 Leute stehen, dann kann es ein richtig geiler Abend werden, es kann aber auch ein richtiger Kackabend sein, weil keiner Bock hat, und wenn es dann noch eine große Venue ist, naja.
Es ist total ambivalent, aber ich spiele einfach gerne live. Ich habe Bock, Leute zu bewegen. Ich bin ja auch ausgebildeter bildender Künstler und was du da nie hast, ist ein direkter Austausch mit dem Publikum. Und den hast du live immer. Du hast immer sofort ein Abbild. Du weißt, ok, jetzt hab’ ich die Leute richtig getriggert. Wie gesagt, du kannst mit 20 Leuten, ach 10 Leuten ein richtig geiles Konzert haben. Geht alles. Live spielen ist einfach wunderschön. Du hast die direkte Emotion, die direkte Reaktion. So ein Konzert, das ist ja auch immer ein Abend, den man miteinander verbringt, das ist ja nicht Band hier, Publikum da. Das verschmilzt ja an bestimmten Punkten. Und ohne das Publikum ist die Band halt auch nichts, wenn der Rezipient fehlt, dann ist alles egal. Dann brauchst du das auch nicht machen.
MusiCandy: Gerade bei Euren Shows fällt mir auf, dass man oft dieselben Leute sieht. Du hast ja mit Vizediktator eine sehr treue Fanbase.
Benni: Ja, das ist megakrass. Ich weiß auch nicht, was da los ist. Da sind ja Leute, die tatsächlich Konzerte mitfahren. Ich finde das völlig abgefahren und bin immer wieder begeistert von diesem Engagement. Wie man Musik so lieben kann ist Wahnsinn, ich bin da echt geplättet von.
MusiCandy: Du hast ja gerade gesagt, dass ein Konzert mit zehn Leuten super sein kann oder auch richtig scheiße. Hast du eine beste Konzerterfahrung oder auch eine schlimmste, von der du erzählen willst?
Benni: Ganz ehrlich, ich hatte letztes Wochenende eine richtig schöne. Super. Das ist auf jeden Fall eines der Topkonzerte gewesen. Der Festsaal Kreuzberg war für mich toll, da war meine Tochter da, meine Mutter war da, das war ein wunderschönes Konzert. Das hat der Laden aber auch hergegeben. Das Konzert im Festsaal Kreuzberg war für mich ein Meilenstein, und auch für alle, die da mitgewirkt haben, war das ein Wahnsinnskonzert. Letzte Woche war superschön.
Das schlechteste Konzert, das übelste… Ich weiß gar nicht so richtig, woran ich das festmachen soll, da geht es gar nicht so richtig um die Show, sondern es hat viel damit zu tun, was dann danach passiert. Und danach, also ich glaube, da schreibe ich noch mal ein Buch drüber. *lacht. Da gibt es so viele Situationen, die so übel waren. Ich meine, ich mache das ja jetzt auch schon seit 17, 18 Jahren in verschiedenen Formationen, und dass wir immer noch dabei sind, ist eigentlich ein fucking Wunder.
Chris: Man fragt sich manchmal auch, wieso.
Benni: Genau, man fragt sich manchmal auch, wieso. Aber dann kommt halt sowas wie letzte Woche, und du denkst, Scheiße, deswegen, klar.
Einwurf von Chris: Man ist halt ein Junkie.
Benni: Genau. Auf jeden Fall. Musik pumpen, und das immer durch die Venen und durch das ganze Publikum. Hammer.
Chris: Und dann sterben. *alle lachen
MusiCandy: Auf der Bühne. *alle lachen
Benni: Genau, auf der Bühne.
Hiermit bestelle ich schon mal ein Exemplar des Buches vor, die Geschichten MUSS ich lesen.
Ich hab’ das alles erlebt
MusiCandy: Was glaubst Du, was die Leute an Deinen Texten oder Deiner Musik so anfixt?
Benni: Das kann ich aus meiner Perspektive natürlich ganz schwer beantworten, weil ich dafür zu wenig Abstand habe, würde ich sagen. Unser Booker Dirk sagt, ist dass unser Booking eines für sperrige Popmusik ist. Ich stehe voll auf Popmusik, aber was mich oft stört, ist einfach, dass die Texte relativ gleichgeschaltet sind. Es ist schön, ‚ne geile Harmonie zu haben und sowas, aber ich finde, dass irgendwas kratzen muss, abschweifen, irgendwas muss untergründig sein.
Und sperrige Popmusik, das, was ich mit Straßenpop zu vermitteln versuche, ist das.
Ich probiere das auf jeden Fall immer zu schaffen. Vielleicht ist es das, was eine Publikumsnähe schafft. Der Fehler in der Musik oder in der Art des Vortrags. Irgendwas ist nicht ganz so, wie es sein sollte. Und das macht vielleicht das aus, was es ist.
MusiCandy: Man nimmt Dir die Texte auch einfach ab.
Benni: Ja, das ist die andere Nummer. Es hört sich immer blöd an, aber klar, ich hab’ das alles erlebt. Das ist natürlich mein Leben. Ich vertone mein Leben, quasi. Oder ich texte mein Leben. Und das meiner Freunde.
MusiCandy: Gibt es einen Grund, warum du auf Deutsch singst? War das mal anders oder wird das mal anders sein?
Benni: Das finde ich jetzt ziemlich witzig, weil ich mir darüber tatsächlich gestern Gedanken gemacht habe, weil unsere Freunde von Itchy ein Album auf Deutsch rausgebracht haben. Und ich habe mich gefragt, warum so eine Band das jetzt macht. Ich habe dann rekapituliert, wie meine musikalische Erziehung war. Und klar bin ich von meinen Eltern mit den Standards beschallt worden, Beatles, David Bowie, Prince und so weiter, fand ich alles geil. Aber der prägende Teil, das jugendlich sein, das war tatsächlich Deutsch-Rap, viel Kool Savas und sowas, die ganze Westberlin Maskulin-Scheiße, und richtiger brutaler ekliger Deutschpunk. Das ist meine musikalische Sozialisation. Das war das, wo wir uns damals drin wiedererkannt haben. Wir haben Slime früher rauf und runter gehört. Meine erste Platte war Reich und Sexy von den Toten Hosen, die hat mir mein Vater geschenkt, als ich neun war. So bin ich aufgewachsen. Ich habe immer Musik auf Deutsch gemacht, nur einmal mit ’nem Projekt auf Englisch. War total lustig, ist aber glaub ich nicht mein Feld. Deswegen singe ich auf Deutsch. Und ich spreche auch nicht besonders gut Englisch. *lacht
MusiCandy: Das hält andere auch nicht ab.
Benni: Ja, genau, aber deswegen. Ich hab’ da gar nicht drüber nachgedacht.
MusiCandy: Und wie findest du es, wenn Itchy und diverse andere Bands sich jetzt auf ihre Muttersprache besinnen und Alben auf Deutsch herausbringen?
Benni: Ich finde das legitim. Aber vielleicht gibt es da ja auch noch andere Hintergedanken, keine Ahnung.
Keine Kunst ohne Politik
MusiCandy: Du hast ja vorhin schon gesagt, dass Deine Texte Dein Erleben und das Deiner Freunde, die du bestimmt alle vorher gefragt hast, ob du ihre Leben verwursten darfst, widerspiegeln. Da ist ja auch viel politisches und sozialkritisches dabei. Gerade für Leute, die Euch vielleicht nicht kennen: Warum ist Dir das wichtig? Werden solche Themen weiterhin eine große Rolle spielen?
Benni: Naja, ich sehe mich nicht als superpolitischen Menschen. Also nicht explizit. Ich bin kein Aktivist, ich lebe ein ganz anderes Leben. Aber ich kann mir Kunst ohne soziopolitischen Anspruch gar nicht vorstellen. Ich verarbeite ja das, was ich in meinem Alltag erlebe. Kunst und Politik sind für mich nicht trennbar.
MusiCandy: Es gibt ja aber auch Künstler*innen, die sich raushalten. Das machst du nicht. Ihr habt ja immer am Ende Eurer Shows Euren Song Dessau über Oury Jalloh gespielt und danach Africa von Toto. Letzte Woche hast du die Ereignisse von Hanau deutlich angesprochen. Es hieß ja jahrelang von einigen Seiten, dass es überhaupt kein Problem mit rechts gibt. Hast du das Gefühl, dass die Leute jetzt mal verstanden haben, dass es ein echtes Problem gibt?
Benni: Nö, habe ich nicht. Aber das Ding ist, wir fahren in die kleinen Städte und Dörfer, spielen da Konzerte und natürlich hast du da den Menschen mit seinem Thor-Steinar-Shirt auf dem Konzert. Und was machst du mit dem? Wir haben den direkten Kontakt, weil wir noch ganz kleine Konzerte mit superviel Publikumskontakt spielen, und dann sag ich einfach, ganz ehrlich, die Leute wissen doch gar nicht, was sie da anhaben. Und dann umarmen wir die mit unserer Musik oder auch tatsächlich, und sagen einfach: „Ganz ehrlich, was ist das für ein Shirt? Das kannst du nicht tragen. Das ist Scheiße.“ Und das ist unser Alltag, und deshalb fließt das natürlich auch in meine Musik und meine Texte ein.
MusiCandy: Hast du schon erlebt, dass du wegen Deiner Texte angefeindet wurdest?
Benni: Ja, aber sehr subtil. Wenn du auf einem Dorffest spielst ist das gang und gäbe. Und wenn du dann Frauen oder weiblich gelesene Personen dabei hast, die da wichtige Aufgaben übernehmen, das ist für ganz viele schon unvorstellbar. Da werden dann Sprüche geklopft wie: „Und du bist jetzt da, um der Band das Bier zu holen?“ und so ein Scheiß. Das ist dann die Mischerin, die Tourmanagerin oder vielleicht auch die Schlagzeugerin.
Wir haben auch schon Festivals gespielt, wo die Securities oft eindeutig rechtsnational gesinnt waren und entsprechende T-Shirt getragen haben oder Tattoos hatten. Dann bist du bei denen unten durch.
MusiCandy: Und auf so einem Dorffest rufst du dann nicht Alerta Alerta?
Benni: Doch, natürlich, immer wieder. Auf jeden Fall. Ich ziehe da mein komplettes Programm durch. Aber das Ding, ist, dass ich da gar nicht so richtig was zu sagen kann. Ich bin nicht die Person, die am Ende auf dem Zeltplatz des Festivals gehen muss, mit dem Patch Fight Nazis hinten drauf. Das bin nicht ich. Ich bin die privilegierte Person, die auf der Bühne steht und da Alerta schreit. Ich bin komplett abgerückt von dem. Auch wenn ich die Nazi-Securities im Backstage habe, die lassen mich da in Ruhe. Ich bin der Künstler. Die Leute, die es wirklich angeht, sind die Leute vor der Bühne. Ich fahre zurück in meine Kreuzberger Blase. Das macht einen immer wieder traurig. Und ich habe ja nicht viel mehr Möglichkeiten, als mein Statement zu machen und den Leuten das Gefühl zu geben, dass sie auf der richtigen Seite sind. „Ey, das hier ist die coole Seite und das da ist die schlechte Seite, weil alles, was von rechts kommt, einfach Kacke ist.“
MusiCandy: Ihr habt ja im letzten Jahr bei Rock Against Racism in Potsdam und beim Ball der Inklusion gespielt. Seid ihr weiterhin dabei, wenn solche Möglichkeiten oder Angebote kommen?
Benni: Ja, natürlich. Auf jeden Fall. Genau das gehört ja zu unserer Musik dazu.
MusiCandy: Wie sieht es mit der Kooperation mit dem Straßenfeger aus? Im letzten Jahr gab es einen tollen Soli-Beutel zugunsten des Straßenfegers und beim Konzert letzte Woche waren ja auch Leute vom Straßenfeger vor Ort. Ist wieder sowas wie Soli-Merch geplant?
Benni: Wir haben immer noch ein paar der Beutel. Letzte Woche haben wir tatsächlich auch knapp über hundert Euro für den Straßenfeger eingenommen. Wir verkaufen jetzt quasi die Restbestände des alten Merch und der Erlös geht an den Straßenfeger. So machen wir jetzt erstmal weiter und dann gucken wir mal. Es ist erstmal nichts Spezielles geplant, aber wir sind immer mit dem Straßenfeger in Verbindung.
Jogginghose und Goldkettchen
MusiCandy: Du hast neulich einen Aufruf gestartet, welche Art Merch sich Eure Fans wünschen. Kamen da gute Ideen? Wenn ja, wird davon auch etwas umgesetzt? Mir ist vorhin sofort Deine Vizediktator-Jogginghose aufgefallen, die ist neu, oder?
Benni: Ja, die Jogginghose ist ein Unikat. Das habe ich heute selbst probegedruckt. Das wird es wahrscheinlich, ich merke, die findet guten Anklang. Ich glaub, das machen wir.
Ja, was kam da sonst noch?
Chris: Kartoffelschäler.
Benni: Ja, Kartoffelschäler, geile Idee. Wir hatten ja mal ein Geschirrtuch, was ich ziemlich cool fand. Das ging gut weg, das war super. Die Idee hab’ ich mir aber ein bisschen abgeguckt, Ratttengold haben das gemacht. Ansonsten war nichts Ausgefallenes dabei. Bierdeckel kam noch. Und Bier, aber das wird natürlich etwas schwierig.
MusiCandy: Bier ist doch ’ne gute Idee, als Gegenentwurf zum Nazi-Bier, das neulich verkauft wurde. Aber schade, dann wird’s wohl demnächst erstmal nichts mit Vize-Bier.
Benni: Na demnäääächst vielleicht schon! *lacht
MusiCandy: Du trugst ja neulich auf einem Foto ein Vizediktator-Goldkettchen…
Benni: Die Goldkettchen sind bald in Produktion, da bin ich noch ein bisschen am herumfeilen. DIY-Merch finde ich geil, aber ich muss hier und da noch ein paar Weichen stellen, bis das in die Serienproduktion gehen kann.
MusiCandy: Willst du uns sonst noch irgendwas erzählen?
Benni: Nö. Ich grüße meine Mutter, alle die mich kennen, und Gott natürlich. Krass, nee, Chris muss kotzen. Vielen Dank!
Na dann kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen…
Rong Kong Koma
Vizediktator
Fotos: Adina Scharfenberg
Redakteurin: Janina Koschnick