Interview: Im Herzen machen wir Punk – Teloch von Mayhem
Oktober 2019, Berlin. Mayhem, eine der berüchtigsten Bands der Welt, geben sich heute in der Hauptstadt die Ehre und laden zum Prelistening des neuen Albums Daemon. Am nächsten Tag ist ein Interview angesetzt, das aber leider nicht stattfindet. Ich rede mir ein, dass es der Jetlag ist. Auch die Größten vergessen mal was. It’s not me, it’s you. Zeitsprung.
November 2019, Berlin. Auch einen Monat später ist die Weltherrschaft Satans noch nicht realisiert worden und so ziehen seine Jünger weiterhin durch die Lande, um ihr unheiliges Wort zu verkünden. Heute steht das Interview. Ich darf Teloch, den Gitarristen der Band, interviewen. Im wahren Leben heißt der Morten Bergeton Iversen und hat eine beeindruckende Musiker-Vita. 1349, Gorgoroth, Mayhem… er war überall dabei.
Von meinem ursprünglichen Plan, Abends zuvor ein griechisches Restaurant zu okkupieren und alle Tzatziki-Vorräte zu plündern, um gegen vampirische Attacken gerüstet und im Falle von Kannibalismus bereits vorgewürzt zu sein, habe ich Abstand genommen und bin auf dem Weg ins Astra. Eine SMS aus dem Inner Circle erreicht mich, Teloch sei ganz, aber GANZ schlecht drauf heute. Na, das kann ja heiter werden. Ich bin zwar gut vorbereitet, aber gegen True Norwegian Black Metal Anger bin ich vielleicht machtlos.
An der Venue angekommen werde ich freundlich empfangen und mit einem breiten Grinsen und festem Händedruck von Teloch begrüßt. Der SMS-Informant steht derweil an der Seite und lacht sich kaputt. Von wegen schlecht drauf, Teloch ist ein Quell der Freundlichkeit. Also gleich mal mit Fakten verwirren und in die tiefe Kunst einsteigen.
MusiCandy: Herzlich Willkommen in Berlin! Wie ist das für dich, in der Stadt zu sein? Schließlich hast du ja die Musik für Berthold Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ gemacht. Hast du das Stück mal hier in Berlin gesehen?
Morten: Nein, nie! Ich kannte das Drama nicht mal, bevor der deutsche Regisseur auf mich zugekommen ist. In Deutschland gibt es sehr strenge Regeln, was Brechts Werke anbelangt und die Auflagen sind sehr strikt. In Norwegen hingegen kann man machen, was man will.
MusiCandy: Ja, wir warten alle darauf, dass die Lizenzen auslaufen und auch in Deutschland Brecht wieder frei adaptiert werden kann.
MusiCandy: Lass uns ein bisschen über eure Musik sprechen. Erstmal Gratulation zum neuen Album “Daemon”, das am 25. Oktober bei Century Media erschienen ist. Es klingt ja recht traditionell, aber gleichzeitig ist es auch sehr facettenreich. Allerdings frage ich mich, weshalb ihr es in vier verschiedenen Studios in Skandinavien aufgenommen habt und nicht in einem?
Morten: Das ist recht einfach zu erklären. Wir hatten keine Zeit in ein Studio zu gehen und so haben wir unsere Parts jeweils bei uns zuhause aufgenommen. Ich habe meine Gitarre und den Bass in Oslo aufgenommen, Charles hat seine Gitarrenspuren in den Niederlanden eingespielt, und der Rest in einem anderen Studio.
MusiCandy: Klingt plausibel. Habt ihr euch dann wenigstens vorher mal zum Proben getroffen und um die Songs auszuarbeiten?
Morten: Charles, Hellhammer und ich waren zumindest dabei, als die Drums eingespielt wurden, aber abgesehen davon haben wir uns überhaupt nicht gesehen.
MusiCandy: Ist das, wir ihr eure Songs schreibt?
Wir schauen uns an und müssen beide loslachen. Bereits jetzt ist klar, das wird kein düsteres Black Metal Standard Interview, das am Besten mit Blut transkribiert wird.
Morten: Haha, nein, das Songwriting war schon abgeschlossen, aber bei den Aufnahmen waren wir halt nicht zusammen.
MusiCandy: Und wenn ihr euch dann auf die Tour vorbereitet, trefft ihr euch kurz vorher zum Proben und jeder muss sein Zeug können, richtig?
Morten: Ja, auf dieser Tour haben wir eine Woche vorher angefangen, die Songs anständig zu lernen… also fast, haha
MusiCandy: In Deutschland sagt man ja: Wer übt, kann nix!
Morten: Haha, ja genau, das passt für Mayhem!
Da sieht man es mal, je größer die Band, desto entspannter wird geprobt (oder gar nicht). War mir dieses Konzept vorher schon geläufig, bin ich dennoch immer wieder von der Professionalität populärer Gruppen fasziniert. Es wird wohl auch viel damit zu tun haben, dass sich die einzelnen Mitglieder auf den jeweils anderen und dessen Können verlassen, was schon mal den meisten Druck rausnimmt.
MusiCandy: Was ist, deiner Meinung nach, der größte Unterschied zwischen Daemon und dem 2014 erschienenen Esoteric Warfare?
Morten: Alles! Der Vorgänger war total experimentell und auch viel technischer. Das neue Album ist viel simpler und geradliniger.
MusiCandy: Ist es eine Hommage an den alten, traditionellen Black Metal?
Morten: Ja, könnte man so sehen, aber unser Ziel war tatsächlich, es uns so einfach wie möglich zu machen. Wir haben nämlich die Europatour gebooked, ohne überhaupt mit dem Album angefangen zu haben. Also mussten wir schnell arbeiten *lacht*. Deswegen überrascht es uns total, dass das Album so gut ankommt, obwohl es so simpel gehalten und schnell eingespielt ist.
MusiCandy: Glaubst du, dass die Welt in diesen dunklen Zeiten mehr Black Metal braucht?
Morten: Braucht die Welt denn überhaupt Black Metal?
Wieder lachen wir gemeinsam laut, während gegenüber ein bierernstes Videointerview mit Gaahl geführt wird.
Morten: Ich weiß auch nicht, ich sehe aber einen Anstieg an Black Metal Fans, auch jüngere, die zu unseren Konzerten kommen. Es scheint, als würde die Szene wachsen, nicht nur im Black Metal sondern im Extreme Metal generell. Warum das so ist, weiß ich allerdings auch nicht.
MusiCandy: Was hältst du denn von den Oldschool Black Metal Bands, die in den 90ern stehengeblieben sind und sich jeder Innovation verweigern?
Morten: Keine Ahnung, ehrlich gesagt, ich bin nicht in der Szene und keiner von uns hört noch Black Metal. Es ist halt alles nur noch eine Kopie von der Kopie. Für uns ist es wirklich total langweilig, uns da noch umzuhören.
MusiCandy: Also keine Tipps, Meinungen, Rants?
Morten: Nope, leider nein, leider gar nicht. Sorry! *lacht*
Fair enough, was soll die Band, die True Norwegian Black Metal erfunden hat, auch noch entdecken? Der Erfinder des Rades hält ja auch keine Laudatio auf das neue Tesla-Modell.
Morten: Nee, aber abgesehen davon möchte ich auch nicht von anderen Bands beeinflußt werden, wenn ich Songs schreibe. Also halte ich mich von Allem so fern wie möglich. Black Metal ist auch ein Lifestyle, wenn man sich die ganze Zeit damit umgibt, zieht einen das echt runter, da wird man richtig depressiv und traurig.
MusiCandy: Also ich muss sagen, als ich das Album zum ersten Mal gehört habe, saß ich im überfüllten ICE nach Berlin und da kam es mir schon gerade recht, dass ich mir zu eurer Musik bildlich vorstellen konnte, wie die ganzen nervenden und unhöflichen Mitreisenden Ritualmorden zum Opfer fallen.
Morten: Haha, das gefällt mir!
MusiCandy: Du schreibst ja das Meiste für Mayhem…
Morten nickt fleißig.
MusiCandy: Wie ist das denn, 2011 in die Band zu kommen und alles an sich zu reißen?
Morten: Dass ich das meiste schreibe liegt eigentlich einfach nur daran, dass ich eine etwas bessere Arbeitsmoral als die anderen habe, haha! Die Texte entstehen zufällig. Ich habe ein paar vorläufige Lyrics geschrieben für Attila für meine Songs, damit er weiß, wann er wo singen soll. Diese Strophen sind also ultraschnell entstanden und sollten gar nicht auf dem Album sein. Leider ist dann aber sein Vater gestorben und er hatte keine Zeit, selbst die Lyrics zu schreiben. Das ist also das Geheimnis hinter den Songtexten auf dem Album – sie sollten gar nicht drauf sein *lacht*.
MusiCandy: Ha, aber sie passen alle total gut zusammen! Auch wenn ich ein paar Sachen nachschlagen musste, weil ich leider keinen Magister in Dämonologie gemacht habe.
Morten: Haha, ich finde auch! Aber wie gesagt, ich musste Attila zeigen, wo er singen soll und wo er die Schnauze halten soll, deswegen die vorläufigen Lyrics. Um jedoch die Stimmung des Songs einzufangen habe ich mir Inspiration bei solchen Sachen wie mittelpersischen Dämonen oder der Bibel geholt. Es ist also alles ein großes Mischmasch an Einflüssen.
MusiCandy: Ich wollte dich sowieso fragen, wie bibelfest du bist, bei den ganzen alttestamentarischen Referenzen…
Morten: Ich habe sie nie gelesen, haha!
MusiCandy: Was?! Es kommt einem so vor, als hättest du echt Ahnung davon.
Morten: Ich habe das Internet.
Morten grinst, als hätte er richtig Spaß daran, sämtliche Klischees zu widerlegen und sein Gegenüber, in diesem Falle mich, mit demystifizierenden Aussagen vollends zu überraschen.
MusiCandy: Ich dachte, jetzt kommt sowas wie: “Klar weiß ich über die Bibel Bescheid, man muss seinen Feind ja kennen!“
Morten: Ich bin überhaupt nicht an der Bibel interessiert. Ich verwende nur gerne Wörter, die nach „Metal“ klingen. Für mich sind Songtexte aber auch nicht so wichtig, wie für manch andere. Ich kann sowieso nicht gleichzeitig Musik hören und auf die Lyrics achten, das überfordert mich. Ich verwende Wörter wie ein Instrument, es muss alles keinen Sinn ergeben.
MusiCandy: Dann hast du dir ja mit Black Metal die richtige Musik ausgesucht, weil man bei dem Geschrei eh nichts versteht.
Morten nickt zustimmend. Zeit ihn etwas zu fragen, was er wohl kennen wird. Vor nicht allzu langer Zeit wurde die bandgeschichte Mayhems verfilmt. Lords of Chaos heißt das Werk, in dem Rory Culkin Euronymous und Emory Cohen Varg Virkernes spielen. Der Film beschreibt die Anfänge der Band und gipfelt in dem Mord an Euronymous durch Varg. Ein kurzweiliges Stück Bandgeschichte und auch Wilson-Gonzales Ochsenknecht hat eine kleine Rolle. Da Morten später in die Band gekommen ist, wäre es doch mal ganz nett, seine Sicht der Dinge zum Film zu erfragen.
MusiCandy: Was hältst du eigentlich vom Film?
Morten: ich habe ihn nicht gesehen. Ich höre die Geschichten über Mayhem schon bevor ich selbst Teil der Band war. Ständig. Eigentlich fast jeden Tag. Und jetzt auch noch ein Film? Ernsthaft? Das muss nicht sein.
MusiCandy: Ist das nicht der totale Sell Out? Es gibt ja sogar Black Metal Führungen für Touristen.
Morten: Den Metal Tourismus hatten wir vorher schon. Wir nennen sie „Black Packers“, also das ist nichts Neues für uns *lacht*
MusiCandy: Verkauft ihr mehr Platten seit dem Film?
Morten: Schwer zu sagen. Ich betreue die Social Media Plattformen und man sah sehr wohl ein gesteigertes Interesse und Aufrufe auf unseren Bandseiten. Das hielt ein paar Monate an und regulierte sich dann wieder auf Normallevel. Gleichzeitig sehe ich auf dieser Tour aber auch viele junge Fans, die Mayhem gerade erst für sich entdeckt haben. Ob das jetzt an dem Film liegt oder an der neuen Platte, kann ich nicht sagen.
MusiCandy: Was hältst du von den Fans, die Black Metal so viel ernster nehmen, als ihr, die ihr ja Black Metal mit erfunden habt?
Morten: Ich kann ja nur für Mayhem sprechen. Mayhem hat sich nie als Black Metal Band gesehen. Selbst als “De Mysteriis dom Sathanas” rauskam. Die Menschen haben das aber als Black Metal gelabelt. Mayhem ist eigentlich eine Punkband. Wir bezeichnen uns nicht als eine Black Metal Band – aber zufällig sind wir eine *lacht*. Wir sind die Großväter des Black Metals. Das ist total seltsam. Aber hey, ich mag dieses Black Metal Gefühl, gerade wenn wir live performen. Ich mag den Vibe auf unseren Shows, auch wenn das nicht zwangsläufig für mich bedeutet, dass wir Black Metal spielen.
MusiCandy: Wir haben ja schon ein bisschen über Dämonen gesprochen. Welcher Dämon ist denn deiner Meinung nach der gefährlichste von allen?
Morten: Das bist du selbst. Wenn du in der richtigen Stimmung bist und deine inneren Dämonen rauskommen- das ist der Moment, in dem die größte Scheiße passiert.
MusiCandy: Für diejenigen, die leider nicht bei euren Shows dabei sein können, kannst du kurz zusammenfassen, was sie verpassen?
Morten: Es ist eine Reise durch Mayhems Karriere. Wir spielen ein paar neue und ein paar alte Sachen. Im Prinzip sind es drei verschiedene Sets. Das erste Set ist ziemlich hart und kommt direkt auf den Punkt, das zweite Set ist sehr böse, es beschreibt die “De Mysteriis”-Phase und das dritte Set ist aus der “Deathcrusher”-Ära und gibt dem Ganzen einen punkigen Touch. Auf jeden Fall ist es verdammt geil!
MusiCandy: Für dich muss sich das doch eh wie ein Familientreffen anfühlen, ihr habt ja auch noch Gaahl dabei, mit dem du ja früher schon zusammen Musik gemacht hast.
Morten: Ja, es ist super, dass Gaahl auch dabei ist! Es ist schon bestimmt zehn Jahre her, dass wir Shows zusammen gespielt haben.
MusiCandy: Hättest du nicht Bock, wieder mit ihm in derselben Band zu spielen?
Morten: Es wäre total cool, mal wieder was zusammen zu machen. Wir hatten eine gute Verbindung auf der Bühne und wir sind privat auch sehr enge Freunde.
Redaktion und Fotocredits: Désirée Pezzetta