Interview: Vom Hinterland auf die Bühnen der Welt – Sam Johnson

Sam Johnson ist ein englischer Singer Songwriter und gerade auf dem besten Wege, den Sprung aus der Versenkung in die Oberliga zu schaffen. Seine EP „Eastcote“ erschien am 1. November und enthielt vier Titel, die erahnen lassen, welches Talent in dem jungen Mann von der Insel schlummert. Wir haben Sam Johnson im Berliner Club Maze getroffen und mit ihm über seine EP, seine musikalischen Vorbilder und die Relation von Einsamkeit und Songwriting gesprochen.

MusiCandy: Du hast kürzlich eine EP rausgebracht – Gratulation dazu! Bist du aufgeregt?

Sam: Ja, sehr! Das ist schon eine tolle Sache.

MusiCandy: Erzähl uns doch mal was über den Entstehungsprozess.

Sam: Ich arbeite mit Elliott James schon ein paar Jahre zusammen, wir haben schon zusammen komponiert und produziert in seinem East Coast Studio in Notting Hill. Als es dann darum ging, wer die EP produzieren soll, war es glasklar, dass es Tim sein soll. Daher ging alles ganz easy.

MusiCandy: Wie lange habt ihr an der EP gearbeitet?

Sam: Hm, alles in allem vielleicht so zweieinhalb Wochen. Es sind ja auch nur vier Songs. Das Meiste habe ich selbst eingespielt. Also die Gitarren, alle Stimmen, die Loops und Keys. Elliott ist Multiinstrumentalist und er kann einfach alles spielen – hat er auch gemacht! Und wir hatten einen Drummer da, der ein bisschen ausgeholfen hat. Und nicht zu vergessen, wir hatten eine Menge Kinder! Elliot hat seinen Sohn mitgebracht, der ist jetzt zehn. Jetzt haben wir also eine Art Kinderchor auf der Scheibe.

MusiCandy: Du sagtest vorab, dass du dir für dein Debütalbum noch etwas Zeit lassen möchtest, bis du dich selbst gefunden hast. Aber Hand aufs Herz- gibt es schon Material?

Sam: Ich habe so viele Songs! Wir sprechen buchstäblich von hunderten Stücken. Ich bin sicher, dass es genug zur Auswahl gibt. Gleichzeitig schreibe ich aber auch konstant weiter Musik. Deswegen wird es wohl am Ende darauf hinauslaufen, dass Songs auf das Album kommen, die ich noch gar nicht geschrieben habe.

MusiCandy: Na, dann hast du ja eine Menge Arbeit vor dir. Auszuwählen, welche Songs es aufs Album schaffen, was vielleicht neu komponiert werden muss…

Sam: Ja, das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, aber ich habe auch keine Eile. Mir ist es wichtiger, dass das Ergebnis großartig wird.

MusiCandy: Wie findest du die Entwicklung, dass das Konzept eines ganzen Albums immer mehr in den Hintergrund zu treten scheint, weil die X-Faktor Generation die Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörnchens hat?

Sam: Ich bin auch der Meinung, dass es mehr um Singles geht. Menschen wollen immer ein Ding nach dem nächsten. Ich persönlich allerdings finde die Idee eines Albums, einer in sich abgeschlossenen Arbeit immer noch toll. Etwas, auf das man stolz sein kann, das eine Geschichte erzählt. Doch, Alben sind für mich immer noch sehr wichtig.

Sam Johnson - Maze - Berlin [29.10.2019]

Gescheiterte Beziehungen und erste Schritte ins Musikbusiness

MusiCandy: Welches Lied auf der EP ist dein Favorit? Deine Single?

Sam: Das ist wohl „Stuck under the Surface“.

Ach super, meiner auch.

Sam: Das hat den meisten emotionalen Gehalt für mich. Allerdings gibt es da noch „Lost in the mail“, den liebe ich auch sehr.

MusiCandy: „Stuck under the Surface“ geht ja um die Trennung von deiner langjährigen Freundin, mit der du in einer Fernbeziehung warst. Das ist jetzt ja auch nicht unbedingt die Art von Lied, die man als Frau gerne gewidmet bekommt. Hast du mal dahingehend Feedback von ihr bekommen?

Sam schaut ganz betreten, so ganz kalt lässt ihn das Thema wohl nicht.

Sam: Nein, ähm, nicht von ihr, also, ähm… nein. Es war eine schwierige Zeit.

MusiCandy: Der Song „Medicine for my brain“, der dir einen Plattendeal verschafft hat, ist ja eigentlich ein Diss gegen die Musikindustrie.  Nun bist du aber in der Musikindustrie und fasst gerade Fuß in diesem Business. Was denkt du jetzt über die ganze Maschinerie.

Sam: Ich würde gar nicht so weit gehen und den Song einen Diss nennen, sondern eher eine Betrachtung des Zeitgeistes und wie schwierig das alles ist. Jetzt, wo ich ein Teil der Industrie bin, kann ich sagen, dass es durchaus eine diffizile Branche mit vielen Höhen und Tiefen ist. Nichtsdestotrotz bin ich ehrlich glücklich da zu sein, wo ich bin, ich wünsche mir nichts anderes. Ich würde auch nicht sagen, dass sich meine Meinung seit „Medicine for my brain“ grundlegend geändert hätte. Das ist ein Teil des Lebens und die Herausforderungen, die die Musikindustrie mit sich bringt. Es ist ein sehr fragiles Unterfangen. Aber ich liebe, was ich tue, definitiv.

MusiCandy: Hattest du schon Headliner Shows in Deutschland?

Sam: Noch nicht, aber das steht ganz oben auf der Liste für 2020. Ich war lange ein Supportact, jetzt möchte ich gerne die erste Geige spielen *lacht*

Nun muss man wissen, dass wir vor dem Interview Zeuge wurden, wie eine Traube Mädchen, die Stunden vor dem regulären Einlass schon an der Venue waren, Sam überschwänglich begrüßt haben. Aha, die reisen also mit! Keine schlechte Quote für einen Newcomer.

MusiCandy: Vor der Tür warten ja jetzt schon deine Fans!

Sam: Nee, die gehören Phil, also Plested *lacht*. Ein paar der Mädels reisen tatsächlich mit. Hamburg, Berlin, Köln und sogar Amsterdam.

MusiCandy: würdest du das für einen Künstler machen?

Sam: Auf keinen Fall, haha!

 

Von Dylan bis My bloody Valentine

MusiCandy: Was sind deine musikalischen Wurzeln? Mal abgesehen von den Arctic Monkeys, von denen du ja selbst sagst, dass du großer Fan bist.

Sam: Ne Menge Folk, Bob Dylan, John Martin, einer meiner Lieblingsfolkkünstler, Ben Howard. Aber auch Jamie T, um bei den zeitgenössischeren Künstlern zu bleiben. Ich mag seine raue Stimme und sein Storytelling total. Nirvana, auch ganz groß. Kurt Cobains war ein genialer Texter. Ich mag die dunkle Sensibilität in seinen Songs. Aber am Ende lande ich immer beim Folk.

MusiCandy: Einen Künstler, der mittlerweile sogar Teil deiner Familie ist, hast du gar nicht erwähnt. Wie ist das mit Kevin Shields von My bloody Valentine?

Sam: Ach, das ist mittlerweile auch schon zehn Jahre her, dass mein Onkel Kevins Schwester geheiratet hat. Sie hat auch viel Erfahrung im Tourmanagement und ich würde sie nicht nur als meine Tante, sondern auch als Mentorin bezeichnen. Weihnachten wird bei uns immer groß im Kreise der Familie gefeiert und so kam es, dass auch Kevin anwesend war, als ich immer kleine Stücke und Songs vorgetragen habe. Kevin hat sich dann recht schnell dafür interessiert, was ich tue. Er ist sehr nett und hat mich immer darin bestärkt, dass ich gut bin und am Ball bleiben soll. Ich wusste aber auch nicht, wie populär er ist.

MusiCandy: na zum Glück, sonst hättest du dich vielleicht gar nicht getraut, vor ihm zu musizieren.

Sam: Definitiv! Gut, wie viele 15-Jährige kennen schon My Bloody Valentine heutzutage? Jetzt ist es eine meiner Lieblingsprojekte, aber damals hatte ich keine Ahnung, wer das ist. Aber besser spät als nie, jetzt habe ich sie für mich entdeckt. Ich liebe alle ihre Alben. Kevin ist ein Pionier an der Gitarre. Hätte ich das mit 15 gewusst, ich wäre bestimmt sehr schüchtern gewesen.

MusiCandy: Man erfährt über dich, dass du viele Songs auf dem Land geschrieben hast, wo du als Einzelkind aufgewachsen bist. Schreibt Einsamkeit große Songs?

Sam: Ich bin sogar sicher. Ich hatte eine glückliche Kindheit. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, hatte aber sehr viele Freunde, die ich sogar Brüder nennen würde. Sie wohnen immer noch dort auf dem Land und wir sind beste Freunde. Ich war also gar nicht alleine. Natürlich ist die Isolation in der ruralen Umgebung unbestritten und es hat geholfen, dort Folk Music für mich zu entdecken und auf einem Feld, ohne Menschen, Songs zu singen, neue Musik auszuprobieren und sich mit der Natur zu verbinden. Das hatte alles einen großen Einfluss auf mich und hat mir Selbstvertrauen gegeben, weil ich gar nicht gerne vor Menschen gesungen habe. Selbst heute fällt mir das noch manchmal schwer. Also ja, Einsamkeit kann bestimmt große Songs schreiben. Jeder fühlt sich mal einsam und ich bin sicher, dass einige der größten Songs unter dieser Prämisse entstanden sind. Aber ich weiß nicht, ob meine Songs zwangsläufig etwas mit Einsamkeit zu tun haben. „Perfect Circle“ geht um das Leben als Einzelkind, aber ich war trotzdem glücklich.

MusiCandy: Naja, deine Lyrics sind ja nicht gerade ein Quell der Lebensfreude, aber die Musik schon. Ich würde sogar so weit gehen und sie als „Sommer- oder Festivalmusik“ zu bezeichnen. Sind vielleicht schon Festivals geplant?

Sam: wir hatten dieses Jahr weniger Festivals, weil ich so mit der EP beschäftigt war. Zuvor gab es schon eine Menge Festivals und nächstes Jahr geht es bestimmt wieder richtig rund. Ich liebe Festivals und Open Air zu spielen. Nur den schnellen Soundcheck mag ich nicht, weil man sich selten gut hört und genau das möchte ich aber *lacht*. Aber abgesehen davon: Sommer, Sonne, Sonnenschein, meine Songs live spielen- Perfekt!

Sam Johnson - Maze - Berlin [29.10.2019]

MusiCandy: In Deutschland warst du ja schon ein paar Mal, aber gibt es eine Stadt in Europa, wo du gerne mal hinmöchtest und noch nicht warst?

Sam: Venedig! Viele meiner Freunde waren schon da und kamen begeistert zurück. Da möchte ich mir selbst gerne ein Bild machen.

 

MusiCandy: Letzte Worte an die deutschen Fans?

Sam: Vielen Dank, dass ihr meine Musik mögt *lacht*

Redaktion: Désirée Pezzetta

Fotocredits: Adina Scharfenberg

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